Die Siemens-Werke in Leipzig und Görlitz sollen geschlossen werden. Als Begründung nennt das Großunternehmen die Energiewende und Überkapazitäten. Betroffen sind im Turbinenwerk Görlitz etwa 720 Mitarbeiter und im Turbomaschinenwerk Leipzig 200 Vollzeitstellen. Die Gewerkschaft IG Metall nennt noch höhere Zahlen. Ob die Schließung der Werke noch abgewendet werden kann, ist derzeit völlig ungewiss.
Sollten die Werksschließungen tatsächlich kommen, stehen die Arbeitnehmer jedenfalls nicht von heute auf morgen auf der Straße. Siemens will nach eigenen Angaben möglichst auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Betroffenen Mitarbeitern sollen Qualifizierungen und Wechsel in andere Konzernbereiche angeboten werden. Einem Sprecher zufolge gibt es auch noch keine konkreten Termine für die Betriebsschließungen. Erfahrungswerte zeigen aber, dass bei einer solchen Betriebsschließung betriebsbedingte Kündigungen wohl nicht gänzlich vermieden werden können.
Bei jeder ordentlichen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen sind zunächst die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 BGB zu beachten. Danach gilt – nach einer möglichen Probezeit von bis zu sechs Monaten – eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Mit steigender Betriebszugehörigkeit steigt die Kündigungsfrist auf bis zu sieben Monate. Diese Fristen müssen bei einer Kündigung in jedem Fall eingehalten werden.
Es ist zudem auch nicht damit zu rechnen, dass kurzfristig betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. Bevor ein Arbeitgeber eine sog. Massenentlassung durchführt, ist er insbesondere verpflichtet, eine sog. Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten, § 17 Abs. 1 KSchG. Damit die Agenturen für Arbeit rechtzeitig über einen außergewöhnlich hohen Zugang neuer Arbeitsloser informiert sind und sich hierauf einstellen können, sind Arbeitgeber ab einer Betriebsgröße von mindestens 21 Arbeitnehmern gesetzlich zu einer solchen Massenentlassungsanzeige verpflichtet. Bereits hier kann ein Arbeitgeber viele Fehler machen, die später unter Umständen zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen.
Neben der Informationspflicht, die der Arbeitgeber gegenüber der Arbeitsagentur hat, trifft ihn weiterhin die Pflicht, den Betriebsrat rechtzeitig über die geplanten Entlassungen zu informieren, § 17 Abs. 2 KSchG. Auch hier kann ein Arbeitgeber einige Fehler machen. Es besteht weiterhin die Pflicht, die geplanten Entlassungen mit dem Betriebsrat zu beraten, insbesondere im Hinblick auf Möglichkeiten, sie ganz oder teilweise zu vermeiden oder ihre Folgen zu mildern, § 111 Abs. 1 BetrVG. Dabei muss der Arbeitgeber „ergebnisoffen“ alle Möglichkeiten erörtern, auf die geplanten Entlassungen zu verzichten. Können sich der Arbeitgeber und der Betriebsrat über das ob, wann und wie der geplanten Entlassungen verständigen, wird das Ergebnis in einem sog. Interessenausgleich schriftlich niedergelegt. Einen solchen Interessenausgleich kann der Betriebsrat allerdings nicht erzwingen. Führt der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durch, ohne vorher mit dem Betriebsrat über die Möglichkeit eines Interessenausgleichs verhandelt zu haben, haben die Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.
Kommt ein Interessenausgleich nicht zustande, muss der Arbeitgeber auf Wunsch des Betriebsrats einen sog. Sozialplan, d. h. eine Vereinbarung über die Milderung der für die Arbeitnehmer eintretenden Nachteile abschließen. Den Sozialplan kann der Betriebsrat erzwingen. Der Sozialplan betrifft im Unterschied zu einem Interessenausgleich nicht die Frage, ob überhaupt eine Betriebsänderung durchgeführt werden soll, in welchem Umfang sie gegebenenfalls durchgeführt werden soll und in welchem Zeitraum sie umgesetzt werden soll. Gegenstand des Sozialplans sind daher nicht die Betriebsänderung bzw. die Entlassungen selbst und die mit ihr zusammenhängenden unternehmerischen Entscheidungen des Arbeitgebers, sondern allein die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen der Entlassungen für die betroffenen Arbeitnehmer, die durch den Sozialplan ausgeglichen bzw. gemildert werden sollen. In der Regel wird daher in einem Sozialplan die Zahlung von Abfindungen an die betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen. Insoweit haben die Arbeitnehmer dann auch einen einklagbaren Anspruch.
Es ist davon auszugehen, dass auch bei einer möglichen Werksschließung von Siemens in Leipzig und Görlitz ein entsprechender Interessenausgleich und ein Sozialplan zwischen dem Unternehmen und dem jeweiligen Betriebsrat vor Ort vereinbart werden. Bei einer betriebsbedingten Kündigung hätten die betroffenen Arbeitnehmer daher aller Voraussicht nach zumindest Anspruch auf eine Abfindung. Die Chancen erfolgreich gegen eine Kündigung vorzugehen, sind dann allerdings überschaubar. Gleichwohl muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob Siemens vor Ausspruch einer Kündigung Fehler gemacht hat. Will der Arbeitnehmer eine ausgesprochene Kündigung nicht hinnehmen, weil er etwa der Meinung ist, Siemens habe vor Ausspruch der Kündigung gegen seine Anhörungs- und Beratungspflichten verstoßen, muss ein solcher Verstoß innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung im Rahmen einer Kündigungsschutzklage geltend gemacht werden.
Sollten Sie von einer möglichen Werksschließung durch Siemens betroffen sein und hierzu Fragen haben, wenden Sie sich bitte gern an mich. Ich berate Sie umfassen in allen Bereichen des Arbeitsrechts.